…. es ist niemals zu spät …

In Zusammenarbeit mit dem Interessenverband Contergangeschädigter Nordrhein-
Westfalen e.V. und dem Lohner Hof, Reit- und Therapiezentrum e.V. fand am
04.11.2018 ein Seminar für Menschen mit Conterganschädigung zum Thema „Pferde
haben mich schon immer fasziniert…“ statt.
Die Idee zu diesem Seminar hatte Bianca Vogel, zweifache Weltmeisterin im Reiten
als Parasport und zweifache Silbermedalliengewinnerin bei den Paralympics in Athen.
Als stellv. Vorsitzende vom Interessenverband Contergangeschädigter, weiß sie aus
Erfahrung, dass Traum und Wirklichkeit in der Kinder- und Jugendzeit von Menschen
mit Conterganschädigungen noch anders aussahen als zur heutigen Zeit. Das
Therapeutische Reiten steckte noch in den Kinderschuhen und die Integration in
Regelreitbetriebe hing vom Engagement des jeweiligen Vereins ab. Aus diesem Grund
stellten „Pferde“ und „Reiten“ oftmals unerfüllte Kinderträume dar.
Für Erlebnisse und neue Erfahrungen gibt es jedoch keine Altersgrenze und so stellten
sich 5 Teilnehmer den Fragen:

  • Wie kommuniziere ich eigentlich mit Pferden?
  • Was kann ich im Kontakt zu dem Lebewesen „Pferd“ erleben?
  • Kann ich meine Ängste vor dem großen Lebewesen überwinden und Vertrauen
    aufbauen?
  • wie ist wohl das Gefühl, auf einem Pferd zu sitzen und getragen zu werden?



Bild 1: Beobachten der Interaktion

Bild 2: Gemeinsamkeit genießen

Spannend war das Beobachten der Pferde in der Interaktion. Die Teilnehmer konnten
die Pferde in ihren unterschiedlichen Verhaltensweisen und mit ihren ganz
persönlichen Charakteren kennenlernen und anschließend selber in Kontakt mit den
Pferden treten. Das Absolvieren eines Führparcours stellte zwei große
Herausforderungen für jeden Teilnehmer dar. Im Vordergrund stand die Frage: „Wie
reagiert das Pferd auf mich als Person?“ Die eigentliche Sorge bestand jedoch in der
Ungewissheit: „Wie schaffe ich es, das große Lebewesen trotz meiner körperlichen
Einschränkung zu leiten/führen?“
Umso ergreifender waren die Momente, als den Teilnehmern im direkten Kontakt mit
dem Pferd bewusst wurde, dass das Lebewesen „Pferd“ auf die individuelle
Körpersprache reagiert, völlig losgelöst von körperlichen Einschränkungen.

Das große Tier reagierte, folgte oder zeigte Grenzen auf. Im anschließenden
Gespräch wurden Emotionen und Erfahrungen gerne in der Gruppe geteilt,
Führungsstile angesprochen und das Gefühl der eigenen „Stärke“, die nicht in
körperlicher Kraft, sondern im ganz persönlichen Ausdruck liegt, genossen.

Bild 3 und 4 zeigen unterschiedliche Führungsstile, die die Persönlichkeit jedes Teilnehmers spiegeln

Das Angebot, sich vom Pferd tragen zu lassen, wurde im zweiten Block des Seminars
am Nachmittag durchgeführt. Negative frühere Erlebnisse, Bedenken oder einfach nur
das Gefühl von Nervosität konnte von allen Teilnehmern überwunden werden. Für
jeden einzelnen Teilnehmer wurden individuelle Lösungen für das Aufsitzen auf das
Pferd gefunden, die die körperlichen Handicaps ausglichen und größtmögliche
Selbständigkeit im Prozess ermöglichten.
Die Sicherheit auf dem Pferd wurde durch den Einsatz eines Sattels mit Steigbügeln
(+Körbchen) und dem Angebot eines verlängerten Hilfsriemens geboten, der die
Verkürzung der Arme kompensierte und Sicherheit vermittelte. Angeleitete
Entspannungsübungen trugen zum ganzheitlichen Wohlbefinden von Körper, Geist
und Seele bei.

Fazit des Seminars war bei allen Teilnehmern der
Wunsch, den Kontakt zu Pferden in der Zukunft zu
intensivieren und nach Möglichkeit ein Folgeseminar
zu besuchen. Vielleicht wird auch der Traum des
Reitenlernens bei dem einen oder anderen
Teilnehmer doch noch zur Wirklichkeit?

Claudia Schönborn
Dipl. Sozialpädagogin, Systemischer Coach,
Reitpädagogin und Ausbilderin im Behindertensport DKThR
Trainer B Reiten, Leitung Lohner Hof
und
Cornelia Schmid
Industriekauffrau, staatlich geprüfte
Heilpraktikerin für Psychotherapie,
Reittherapeutin Equimotion, Resilienztrainerin